Assoziativer Sekundenkleber: "West in Peace" im Hebbel am Ufer
Patrick Wildermann, Der Tagesspiegel, 2009-12-21
Was hat Karl Marx mit Karl May gemeinsam? Nun, wahrscheinlich genau so viel wie Lenin mit Lennon. Aber das heißt ja nicht, dass die prägenden Köpfe aus Pop und Politik in den Inszenierungen des Performance-Kollektivs andcompany & Co nicht Blutsbrüderschaft schließen könnten, meist im Zuge einer fidelen Splatter-Orgie aus dem Zombieland der Ideologien. Die Spezialität der internationalen Truppe, die soeben mit ihrer Arbeit "Mausoleum Buffo" zum Impulse-Festival eingeladen war, ist es, die großen Untoten des 20. Jahrhunderts mit dem assoziativen Sekundenkleber aneinanderzuleimen und aus den schiefen Bildern so irrlichternde wie erhellende Kontexte entstehen zu lassen — es gehört zusammen, was nicht zusammenwächst. Auch in ihrer jüngsten Arbeit "West in Peace oder Der letzte Sommer der Indianer" im HAU 3 mixen die Performer um Mastermind Alexander Karschnia, ausgehend eben von May und Marx, einen sozialistisch-kapitalistischen KalauerClash, schlagen ihr Diskurslager irgendwo im geistigen Grenzgebiet zwischen der Ware Westen und dem wildem Osten auf. "Mausoleum Buffo" war zwar im Vergleich die stärkere Arbeit, aber auch "Der letzte Sommer der Indianer" – neben Karschnia von Nicola Nord, Sarah Günther, Sebastian Suba und Sascha Sulimma ersonnen und gespielt — ist eine vor Phantasie überbordende Kurzschluss-Extravaganza, die über polnische Westernstädte zu verschiedenen Herrschaftstheorien führt, von Joschka Fischers Turnschuhen zu Klaus Kinskis Erlöser-Auftritten. Und die wiederum, in ironieerprobter Agit-Prop-Manier, die Frage stellt, was von den Idealen übrig blieb.
Der Tagesspiegel