Tränen vom Mann im Mond
Mit „Time Republic“ setzt das Theater die Reihe „Geschichten für ein neues Jahrtausend“ fort – und zeigt keine leichte Kost. Kosmonauten oder Temponauten? Die Andcompany ging im FFT auf Zeit- und Weltraumreise.
Es war ein Piepen, das die Welt erschütterte. Gesendet hatte ihn ein künstlicher Weggefährte der Erde, auf russisch „Sputnik“ genannt, aus dem All. Die Welt staunte, für die Russen war es ein triumphaler Erfolg und für die Amerikaner ein Schock. Diese Schmach, im Orbit bloß zweiter Sieger zu sein, verschärfte damals den Kalten Krieg und inspirierte jetzt Andcompany & Co. zu der Theatercollage „Time Republic“. Anlässlich der Reihe „Geschichten für das neue Jahrhundert“ geht das Künstlerkollektiv auf Zeitreise. Und wie es sich für Performer gehört, wird nicht einfach Text aufgesagt, sondern in nicht klar definierten Rollen gespielt, musiziert, Krach gemacht und Licht an- und ausgeknipst. Grundlage für ihre bei der Premiere beklatschte Vorstellung sind Zeitzeugendokumente, die belegen, wie weitläufig der Begriff „Wahn“ zu fassen ist. Aber nicht nur Besprechungen im Weißen Haus während der Kuba-Krise oder Nikita Chruschtschows Erinnerungen werden da verlesen. In sehr eigenen Worten erzählen die sieben Performer als Enkelin Little Blue Lenins Geschichte. Der ging erst gar nicht an die Uni, sondern wurde direkt Revolutionär. Mit seiner dreibeinigen Hündin Laika, die wie beim Spaziergang ballonartig über ihm schwebt und deren Gekläffe wie Sternengesang klingt, will er die Zeit erobern. Und während er ihr ein viertes Bein anklebt, trifft er auf sieben Kosmonauten, die zu Temponauten werden. Doch die Temponauten, gekleidet in Oberteile, die direkt aus dem Fundus der „Raumpatrouille Orion“ zu stammen scheinen, verwandeln sich nicht bloß in windschnittige Raketen, sie müssen später als Weltraumschrott überleben. Dazwischen gibt es körperliche Ertüchtigung in der durch Rohrskulpturen zur Raumstation verwandelten Bühne, milden Gesang, überdimensionierte Cowboy-Hüte und viele durch flackerndes Licht unterstrichene Turbulenzen. Wenn der gesampelte Ronald Reagan seine Rede zum Columbia-Unglück hält, schreit sogar der Mann im Mond und weint dazu silbrige Konfettitränen. Das ist keine leichte Kost, aber eine durchaus spannende Einlassung.