Die Blackbox öffnen: Geschichte(n), auf der Bühne remixed

Ein Portrait des Performancekollektivs andcompany&Co. aus Berlin

1917. 1924. 1926. 1989/90. 1991. Große Erwartungen, Milleniumswende, nichts passiert. Drei Jahre später in Frankfurt am Main im wiedervereinigten Deutschland, das seine sogenannte realsozialistische Hälfte, die DDR, längst geschluckt hat und weiterhin BRD heißt, als wäre nichts geschehen: Es rappelt in der Kiste, der Theater-Blackbox.

Was hier als äußerst unvollständige, etwas kryptisch oder vielleicht hochfahrend anmutende und durchaus plakative Geschichtsschreibung in Zahlen daherkommt, die in ihrer bloßen Aufzählung nichtssagend bleiben, ist nicht willkürlich gewählt, markieren diese Jahreszahlen doch Ereignisse, die wichtige Drehpunkte in der Arbeit des internationalen Performancekollektivs andcompany&Co. sind, im Kern bestehend aus Alexander Karschnia, Autor, Theaterwissenschaftler und -macher, Nicola Nord, Performerin und Sängerin sowie Sascha Sulimma, Musiker und DJ. Auch die schlagwortartige Benennung dieser Ereignisse (Oktoberrevolution, Lenins Tod, Brechts Vorstellung des Epischen oder Dialektischen Theaters, Auflösung der DDR und der UdSSR) wäre noch unzureichend und irreführend, denn es geht in ihren Inszenierungen „nicht in erster Linie um die real-existierende Historie“ , und schon gar nicht darum, diese nachzuspielen, sondern um virtuelle, mögliche Geschichte: „nicht um das, was war, sondern das, was nicht war und deswegen immer noch möglich zu sein scheint“ (ebd.).

Doch erstmal zurück ins Jahr 2003: In Frankfurt am Main, der deutschen Bankenmetropole mit Sitz der Europäischen Zentralbank, wo Nord und Karschnia Theater-, Film- und Medienwissenschaft bei Hans-Thies Lehmann studierten und Sulimma als Komponist und DJ arbeitete, Fragmente von Bertolt Brecht und Kurt Weill zu Brechtbeatz remixte, Partyreihen veranstaltete und mit Nord zusammen in einer Band spielte, gründeten die drei andcompany&Co., auf der Suche nach Strukturen, die die Arbeit „mit weiteren künstlerischen PartnerInnen an der Schnittstelle von Theater & Theorie, Politik & Praxis“ ermöglichen. 2004 wechselten sie nach Amsterdam, weil Nord an der DasArts (The Amsterdam School for Advanced Theatre Research and Dance Studies) ein Stipendium erhielt. Sie entwickelten erste gemeinsame Stücke, hatten Residenzen im Theater am Turm des Bockenheimer Depots in Frankfurt und am Forum Freies Theater in Düsseldorf. Seit 2007 haben andcompany&Co. Berlin als Arbeits- und Lebensmittelpunkt gewählt, wo sie inzwischen artists-in-residence des Theaters Hebbel am Ufer sind.

Der wortspielerische Name andcompany&Co. ist typisch für ihren Umgang mit der Sprache, die buchstäblich genommen und ebenso klanglich eingesetzt wird, und für die Texte ihrer postdramatischen Stücke, in denen sie zitieren, rhythmisieren und verfremden, in zeitgenössischer Weise Brechts Epischem Theater verbunden. Auch darüber hinaus ist der Name programmatisch, gleich mehrmals betont er das Und sowie das Mit: das gemeinsame Handeln und Sein. So verweist er auf die Produktionsweise der Gruppe, die sich als offenes und zugleich verbindliches Netzwerk versteht und auf die Zusammenarbeit und den Austausch mit Künstlerinnen und Künstlern, den &Cos, aus allen Bereichen angelegt ist. Und er ist Referenz an die Situation zwischen Performenden und Zuschauenden, die ebenfalls zu &Cos werden. Darüber gibt auch ihr avantgardistisches Manifesto Auskunft.
Die drei Kernmitglieder verbinden, verbünden und verschwören sich mit anderen in wechselnden Konstellationen in projektbasierten Arbeiten, etwa den &Co-LABS. Diese sind Versuchslabore in Form von Workshops, Performance-Lectures, Installationen oder Aufführungen als work-in-progress. Diese Arbeiten entstehen oft in kurzer Zeit, teils in nur wenigen Tagen, und zeichnen sich durch raue Skizzenhaftigkeit aus. Manchmal sind sie Teil einer Recherche, aus der größere Theaterperformances hervorgehen, was jedoch nicht notwendig der Fall ist. Das Kollektiv nennt die Zusammenarbeit oft „Kollaboration“, wohl bewusst einen mitunter kontrovers behafteten Begriff verwendend und umdeutend, in dem noch Kriegs- und Wirtschaftsjargons anklingen.

Eine klassische Teilung der Theaterarbeit in Autor, Regie, Schauspielende und dazwischen die vermittelnde Dramaturgie gibt es bei andcompany&Co. nicht, weder während der Probenphasen, die szenischen Jammings gleichen, noch bei den Aufführungen. Fast immer agieren dabei alle Beteiligten gemeinsam auf der Bühne (es gibt auch Ausnahmen, z. B. sind Stage Designer nicht immer dabei bzw. nur in Form ihres Bühnenraums anwesend). Das bedeutet aber nicht, dass jeder alles macht und das dann semi-professionell. Es geht um ein geteiltes Interesse für ein bestimmtes Thema und den gemeinsamen Prozess, um das Zusammentragen und Zusammenschneiden von Material, Wissen und Können, mit dem ein gegenseitiges Lernen einhergeht.

Daher ist es so naheliegend wie konsequent, dass andcompany&Co. das zentrale Prinzip ihrer Arbeit als Re-Mix bezeichnen. Eine Technik des DJings als ästhetische Strategie auf dem Theater, die zeitgenössisch ist, da sie nicht der Linearität folgt, sondern Brüche und Sprünge markiert. Gesamplet und neu abgemischt werden Sounds und Musik, darunter regelmäßig Werke von Brecht/ Weill, Arbeiterlieder und Songs von den Beatles. Das Ganze wird eingespielt von einem DJ-Pult direkt auf der Bühne, manchmal von Nicola Nord allein gesungen, teils chorisch, mal von den anderen Performern mit diversen Percussion-Instrumenten minimalistisch bis lautstark unterstützt.

Ihr Re-Mix ist noch umfassender, speist sich gleichsam aus einem Universum: andcompany&Co., aufgewachsen während des Kalten Krieges, remixen nichts Geringeres als das 20. Jahrhundert, um das noch junge 21. Jahrhundert zu verstehen. Sie entwickeln eigene Stücke, indem sie Filme, Politiker (Lenin, Stalin, Reagan), Pop, Agitprop und Demo-Parolen, Literatur (Brecht, Heiner Müller, Wladimir Majakowski, Märchen), Theorie (Marx & Engels, Guattari & Deleuze, Hardt & Negri), Werbeslogans, TV-Shows, Kunst etc. zitieren und diese „Fakten & Fiktionen, ästhetischen & philosophischen Entwürfe musikalisch verdichten“. Der Re-Mix, der Parallelen zur digitalen Praxis des copy & paste aufweist und nebenbei den Originalitätsanspruch hinterfragt, ist eine spielerische Methode der Reflexion. Er macht es nötig, sich zu den ausgewählten Fragmenten aus all diesen Kontexten und Diskursen in Beziehung zu setzen: der neuen intertextuellen Verschaltung oder Zusammen-Setzung geht die Auseinander-Setzung voraus.

Das Interesse gilt insbesondere der großen Utopie des 20. Jahrhunderts, dem Kommunismus. andcompany&Co. untersuchen dessen Scheitern und Verschwinden, versuchen gewissermaßen seine Austreibung und zugleich seine theoretische und praktische Re-Animation. Zum einen in ihrer Arbeits- und Lebensweise, die Karschnia in einem wissenschaftlichen Essay als „(Post-)Performerism“ bezeichnet. Dort schreibt er über die Prekarisierung derjenigen, die in der sogenannten „freien“ künstlerischen Szene projektbasiert und „frei“beruflich tätig sind, d. h. abhängig von staatlicher Förderung oder privaten Stiftungen, immer „zwischen Selbstbestimmung & Selbstausbeutung“ umherschweifen und produzieren. Mit Michael Hardt, Antonio Negri, Paolo Virno und anderen referiert er die veränderten Arbeitsverhältnisse und Zwänge des Marktes, die in seinen Augen auch „Chancen bieten zur Transgression alter Trennungen“.

Zum anderen ganz konkret vor den Zuschauern, in deren Anwesenheit sie dem Thema wieder zu Öffentlichkeit verhelfen. Das alles findet statt auf Bühnen, die eher karg, gelegentlich monumental ausgestattet sind (Mausoleum Buffo, 2009), ähnlich den Texten immer das Artifizielle, Ästhetizistische ausstellen und auf antiillusionistische Distanz gehen. Häufig verwendete Materialien sind Papier, Karton, Sperrholz und Spanplatten, die bedruckt, beschrieben, bemalt, besprüht und beleuchtet, später teils auch demoliert werden. Aus ihnen werden leichte Gebilde gebaut, die von den Performern bewegt werden können und die flache, geometrische oder typographische Bildwelten generieren, die nicht von ungefähr oft an die Avantgardekunst des Dadaismus und Konstruktivismus, aber auch an Comics erinnern. „Wir halten sehr viel von der Idee, das Epische Theater als Bühnencomic zu betrachten“, sagt Karschnia. Eindrückliche Beispiele sind die Bühnen, die von der israelischen Grafikdesignerin und Animationsfilmemacherin Hila Peled stammen, oder jene des bildenden Künstlers Jan Brokof aus Berlin. Deren vielschichtige Ästhetik oszilliert zwischen rau, sperrig, stylish und niedlich.

Die Performer tragen meist einfarbige Unisex-Anzüge, die man mit Arbeiterkleidung oder anderen Uniformen assoziiert. Oftmals treten sie unter ihrem eigenen Namen auf, nehmen aber wahlweise auch Namen wie Little Red, Little Blue oder Sowjettka an. Oder halten sich eine der zahlreichen Fotomasken vor, kontinuierlicher Bestandteil der Requisite, übergroße grobkörnige Schwarzweiß-Kopien aufgeklebt auf Pappe, die die Gesichter von Ikonen wie Rosa Luxemburg, Karl Marx, Mickey Mouse oder anderen Personen des Zeitgeschehens zeigen. Figuren oder Charaktere im klassischen Sinne gibt es hier nicht, genau so wenig wie Experten des Alltags, die seit dem Erfolg der Gruppe Rimini Protokoll aus der Schule der Gießener Angewandten Theaterwissenschaft so beliebt sind.

Beeindruckend sind andcompany&Co., weil sich in ihrem Tun Beharrlichkeit und Aufrichtigkeit manifestieren. Und weil daraus nicht nur klug analysierende, sondern auch humorvolle und höchst unterhaltsame Arbeiten entstehen, fern von naiver Verklärung des Gewesenen und der Gegenwart, abseits von bitterem Zynismus oder linker Melancholie.

Autor

Frauke Pahlke