NACH DER KRIEGSERKLÄRUNG

Esther Boldt, Recherchen 09: handeln, 2009-05-05

Viele Male haben wir sie gesehen in den letzten Monaten, die „Kriegserklärung“. Haben mitgewippt bei den Declarations and Explanations, wenn die Beats krachten und der Trommler seinen Krieg begann. Wir haben geflügelte Worte aufgeschnappt und bei Gelegenheit fallen gelassen: „Schießen Sie gefälligst zuerst, meine Herren Bourgeois!“, „I declare nothing to declare“ oder: „Ich erkläre den Krieg.“ Gesehen haben wir sie aber immer nur auf Video, waren bei der ersten Aufführung nicht vor Ort in München, beim „Wörterbuch des Krieges“ von unfriendly takeover 2006. Nun also, drei Jahre später, live und in Lebensgröße, auf eigene Einladung und mit Vorfreude im Gepäck.

Beginn mit einem Zeitvertreib bei offener Tür, mit dem Warten auf einen späten Gast: „Es geht gleich los.“ Dazu passt das Schwarz-Weiß-Foto auf der Leinwand hinter den drei Performern, „Warten auf die Kriegserklärung“, Lustgarten Berlin 1914. Zivilisiert aussehende Herren in Anzügen und weißen Sommerhüten, die Ellbogen müßig auf die Knie gestützt, den Blick zum Boden gesenkt, über ihnen wölben sich die Äste der Bäume. Und dann begann ein Krieg.

In ihrer 20minütigen Lecture dann spielen Nicola Nord, Alexander Karschnia und Sascha Sulimma die Ambivalenzen der Sprache durch – das beginnt bei der doppelten Bedeutung des Wortes „Kriegserklärung“, führt über das durchaus konflikthafte Verhältnis von Text und Musik in der Lecture und hört da nicht auf, wo Utopien aufblitzen: „I declare nothing to declare“, das ist eine klare Ansage und eine Tat, kein noch höfliches, wenn auch bestimmtes „I would prefer not to“ als Antwort auf das Leben. Das Unterlassen als utopischer Versucht, nicht als Auslassen des Lebens. Das „und so weiter“, das die zielgerichtete Handlung stört, erweitert und nicht zu ihrem Ende kommen lässt: „Ich erkläre den Krieg für beendet und so weiter.“

Hier wird zwar kein Krieg beendet, aber so auch kein neuer angefangen. Immerhin. Das zweite utopische Moment: Den Krieg im Sinne von Roland Barthes durch einen unendlichen Text sabotieren. Nichts mehr erklären, nur noch offenhalten, sich durch immer weitere „und-so-weiters“ rhizomatisch verzweigen, ohne auf der Stelle zu treten dabei. „Es geht gleich los.“ Aber was? Was beginnt da?

Die losen Verbindungen fremder Zungen, von Bertolt Brecht, Heiner Müller, Carl von Clausewitz, Bruno Latour, Carl Schmitt, John L. Austin und Roland Barthes, zwischen denen die Beats und die Doppelbödigkeit der Sprache wüten, eröffnen zahlreiche Assoziationsmöglichkeiten, einerseits. Andererseits aber auch eine große Sprachlosigkeit, die still den rhizomatischen Zweiglein folgt. „Wenn der Trommler seinen Krieg beginnt, dann soll er um sich lauter Feinde sehen…“ Der Trommler trommelt permanent, umzingelt von Feinden, die immer abstrakter werden. Es gibt keinen Anfang und kein Ende mehr, die Welt steckt in einem eng gewebten Text und findet keinen Ausweg. Oder doch? Was tun? Keiner erklärt mehr den Krieg, es wird nicht mehr begonnen, und Angriffskriege werden als Verteidigungskriege deklariert: „Angriff ist die beste Verteidigung!“

Und dann, die Fragen an den Tagen danach, mit Verzögerung: Was bedeutet der Krieg eigentlich für uns, die wir die Nachgeborenen sind und in Zeiten von abwesenden Kriegen aufgewachsen – sei es nun der „Kalte Krieg“ oder das, was Alex Karschnia den „Heißen Frieden“ nennt, also den Krieg gegen den Terror, den Konflikt der Gegenwart, der immer andernorts ausgetragen wird? So ist erstens das Sprechen in Zitaten, das andco in ihrer „Kriegserklärung“ auf die Spitze treiben, vielleicht konsequent: Über etwas, das man nicht direkt erlebt hat, kann man nur in geliehenen Worten sprechen. Und zweitens ist der Krieg für uns immer einer, der auf-geführt wird, und Krieg und Performance also auch da verwandt: „Krieg ist Kontakt / Krieg ist Kommunikation / Krieg ist Freizeit“. Medial ist er omnipräsent, auf der Titelseite der SZ vom 8. Mai beispielsweise nichts als Konfliktlinien: „Flucht vor dem Krieg“ in Pakistan, Verfolgungsjagd in Afghanistan, Verschärfung des Waffenrechts in Deutschland, die fragliche Aufnahme von Guantanamo-Insassen sowie die „Jagd auf die Schweinegrippe“. Da ist sie, die Aufführung und Wiederaufführung des Krieges, in dem man keinen Ort hat, zu dem man sich kaum ins Verhältnis setzen kann. „Dem Krieg den Krieg erklären.“

Recherchen 09: handeln