Revolutionärer Eiertanz
Frank Quilitzsch, TLZ Kultur, 2009-05-04
Eindrucksvolle Performance "Mausoleum Buffo" beim Jenaer Bauhaus- Festival
Lenin schläft, doch die Geister, die er einst rief und die sich seiner Ideen – auf welche Art auch immer – bemächtigten, führen vorm Mausoleum einen skurrilen Tanz auf: einen Eiertanz. "I´m the Walrus", grunzt zum Beatlessong das Führer-Ei mit dem unverkennbaren Stalinbart, während sich aus den anderen Eierköpfen nach und nach die Porträts von Trotzki, Marx, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Wladimir Putin herausschälen. Völker, hört die Signale: Josef Stalin mit dem goldenen Schnauzer und gewaltigen Walrosszähnen sitzt hellwach auf seinem Schaukelstühlchen und freut sich, dass alles nach seiner Pfeife tanzt.
"Mausoleum Buffo" hat die international besetzte Perfomergruppe "andcompany&Co." diese außergewöhnliche Produktion genannt, die am Sonnabend und Sonntag beim Jenaer Bauhaus-"Festival neue Szenografie" im Theaterhaus zu erleben war. Eine ästhetisch ausgereifte, spannungsgeladene, vor Ironie und Sarkasmus strotzende Inszenierung, die mit Elementen des Dada und des Konstruktivismus spielt. Die Bühne von Hila Flashkes und Co. gleicht einem von Glühbirnen illuminierten Raritätenkabinett mit seltsamen Apparaten links und rechts, einem auf dem russischen Buchstaben "Ja" (Ich) montierten Steuerpult in der Mitte und dem immer neue Geister ausspuckenden Mausoleum im Hintergrund. Geheimnisvoll klingelt ein Telefon, und über allem leuchtet der rote Sowjetstern.
Was ist, fragen die jungen Protagonisten, eigentlich aus "der Schießerei in Petrograd 1917/18 geworden"? Sie tragen die Uniformen der Beatles vom Cover des "Sgt. Pepper"-Albums, asiatische Pilzhüte und Ho-Chi-Minh-Bärte, blasen auf dem Blech, schlagen den Gong und trommeln unentwegt den Erzählrhythmus. Gleich mehrfach werden historische Prozesse verfremdet als Märchen wiedergegeben. Elvis, John Lennon und Mickey Mouse mischen sich ein. In einer Art Talkshow streiten sich drei Leuchten über die Echtheit von Lenins Mumie und die Rolle Stalins in der Geschichte, wobei Fakten mit Halbwissen und Nonsens zu einem ungenießbaren Brei vermengt werden. Drängte sich eingangs der Eindruck auf, dass die Truppe viel lieber Verwirrung statt Aufklärung betreibt, relativiert sich dieser spätestens bei den eingesprochenen Brecht- und Heiner-Müller-Passagen: Die Pervertierung des Traums von einer gerechten Gesellschaft ist das Werk der kommunistischen Führer, deren auch nach innen gerichteter Terror Millionen Anhängern das Leben kostete. Während man Lenin noch heute vor der Kremlmauer wie Schneewittchen im Glassarg zur Schau stellt, wurden viele dieser Opfer in Massengräbern verscharrt.
Zum Höhepunkt dieser tragikomischen Totenbeschwörung avanciert der vierstimmige Gesang von "Unsterbliche Opfer", wobei im Rhythmus Lichter an- und ausgeknipst werden. Wunderbar, wenn die aus Kasachstan stammende Vettka und der US-Amerikaner Thomas jeweils in ihrer Muttersprache reden. Am verstörendsten ist jene Frage, die nicht gestellt, doch unentwegt provoziert wird: Was ist von den sozialen Utopien des 20. Jahrhunderts geblieben. Woran glauben wir, die wir nicht haben "dran glauben" müssen?
FRANK QUILITZSCH
TLZ Kultur